Die Stimme ist das menschlichste „Instrument“. Jeder trägt sie immer mit sich, jede kann singen. Die deutschen Landesmusikräte haben die Stimme deshalb zum „Instrument des Jahres 2025“ erklärt.
Ein geradezu gigantischer Schachzug ist den Landesmusikräten damit gelungen. Seit 2008 küren die Landesmusikräte jährlich ein „Instrument des Jahres“. Jörg-Rüdiger Geschke, der geistige Vater dieser Aktion und damals Mitglied des Landesmusikrates Schleswig-Holstein, wollte dabei möglichst viele Menschen unterschiedlicher sozialer Milieus erreichen und gleichzeitig ein großes musikalisch-stilistisch Spektrum abdecken. Ziel des Projektes ist es, Werbung für die Musik und das Musizieren im Allgemeinen zu machen, aber auch ein Instrument in vielen unterschiedlichen Facetten zu beleuchten – Lust auf mehr! Das Instrument des Jahres 2025 ist maximal verbreitet: in Deutschland besitzen und nutzen (!) 83,6 Millionen Menschen dieses Instrument: die Stimme. Im ersten Moment hört sich das lapidar an: jeder hat sie, jeder nutzt sie. Was kann daran schon noch Besonderes sein? Die Stimme steht für unsere Individualität – ähnlich einem Fingerabdruck gibt es keine zwei vollständig identischen Stimmen. Die Stimme ist das älteste Instrument der Welt. Sie kann laut tönen, verhalten flüstern, deutlich sprechen, fröhlich singen und noch so viel mehr. Sie ist ein wichtiger Träger von Emotionen. Jeder kann sie ganz individuell hörbar machen und einsetzen. Individualität – das ist ihre Stärke!
Jeder Mensch kann singen!
Cornelius Trantow ist Professor für Chorleitung in Hamburg. Für ihn ist klar: „Jeder Mensch, der sprechen kann, kann auch singen.“ Trantow würde jedem, der sagt, dass er nicht singen könne, zunächst einmal Mut machen und ihn zum Ausprobieren ermutigen. Dabei wäre ihm das Wohlbefinden des Sängers wichtig, der sich einen Ort suchen soll, wo er sich wohlfühlt. Ein Publikum ist in jedem Fall nicht vonnöten. „Spaß“ muss es in erster Linie aus seiner Sicht machen. Hier ist wohl das Singen gut in der Dusche zu verorten. Perfektion ist zunächst einmal nicht gefragt, solange es einen glücklich macht – persönlich empfundenes Glück stärkt die Gesundheit und das Immunsystem.
Trantow schränkt aber auch ein. Singen kann wohl jeder – aber es gibt Qualitätsunterschiede! Für das Singen am Lagerfeuer oder in der Kneipe werden keine besonderen gesanglichen Fähigkeiten benötigt, weshalb er rät, sich Gleichgesinnte zum gemeinsamen Singen zu suchen. Will man aber mit seinem Gesang eine musikalisch-künstlerische Aussage formulieren, dann bedarf es einer guten und sicheren Verbindung zwischen Ohr und Stimme, zwischen Hören und Singen. Diese kann man üben – muss es aber auch ausgiebig tun. Es ist also letztlich wie bei jeder spezialisierten und möglicherweise sogar herausragenden Fähigkeit, gleich in welchem Fachgebiet. – Trantow erzählt, dass unter Instrumentalisten gelegentlich gegenüber den Sängern ein „Laiennimbus“ angenommen wird – denn singen kann ja jeder. Für die Kunstform „Singen“ bedarf es aber genauso viel Übung wie bei jedem anderen Instrumentalisten auch!
Singen ist ein Nachahmungsprozess
„Alle Menschen haben die organischen und funktionellen Voraussetzungen, um singen zu können. Nur sehr selten gibt es angeborene Fehlbildungen.“ Er betont, dass es sich beim Singen um eine Art Nachahmungstätigkeit handelt. Singen kann man zunächst nur das, was man schon einmal gehört hat und mittels einer gewaltigen kognitiven Leistung des Hirns dann über die Stimme reproduziert. Je intensiver Eltern ihren Babys und Kindern etwas vorsingen und diese unbewusst diese Melodien nachahmen, desto mehr bilden sich entsprechende Muster im Gehirn aus. Wer als Kind schon viel singt, so Fuchs, „bewahrt sich seine Lust und Fähigkeit am Singen ein Leben lang.“
Aspekte wie „Mut machen“ und „üben“ sind von großer Bedeutung – beides lohnt sich! Auch bei Erwachsenen, die in ihren Prägungsphasen vielleicht wenig gesungen und geübt haben, kann man – zugegeben mit einem hohen Aufwand – im Einzeltraining noch viel nachholen. Die Überzeugung, gerade bei Erwachsenen, nicht singen zu können, rührt vielfach auf Ereignissen in der Schulzeit. Im Musikunterricht oder bei der Aufnahme in den Schulchor – und mal ehrlich: Wer kann sich an eine solche Situation nicht erinnern? – sagte der Musiklehrer schnell mal „Du kannst nicht singen“, weil man den Vorstellungen dieser Lehrkraft nicht entsprach. Solche Äußerungen grenzen an Körperverletzung. Es zerstört in dem Kind jegliche Bemühungen sich weiter mit dem Singen zu beschäftigen. Letztlich wird das Kind auf diese Weise seiner geistig-emotionalen Entäußerung beraubt. Trotzdem: Nur Mut! Jeder Mensch kann singen!
Das Geheimnis des Könnens liegt im Wollen.
Giuseppe Mazzini (1805 – 1872)